Was kann Absolventen eines Medizinstudiums besseres passieren als Landarzt zu sein? Sofort eine eigene Praxis, ein Leben in der Idylle, umgeben von endlosen Wiesen, Bergen oder dem Meer. Keine überfüllten Wartezimmer, kein Stress, keinen Druck durch die Gebührenordnung der Krankenkassen. In der Landarztpraxis kann noch der Arzt entscheiden, was gemacht werden muss, nachdem er sich lange Zeit für ein ausführliches Gespräch mit seinem Patienten genommen hat.
Traumberuf Landarzt? Diese traumhaften Bilder werden uns auch seit Jahren in der gleichnamigen Sendung im ZDF gezeigt. Sagen wir besser vorgegaukelt. Denn sie entsprechen leider nicht der Wahrheit.
Natürlich trifft es zu, dass ein Landarzt in einigen Fällen durch wunderbare Natur fährt, ohne im Stau zu stehen, eine S-Bahn Linie zu kreuzen, und dreckige Stadtstraßen vorzufinden, um einer Patientin oder einem Patienten einen Hausbesuch abzustatten. Nur will dies von den jungen Medizinstudenten und -Absolventen heutzutage niemand mehr.
„Landarzt ist ein Fulltime Job, der Arzt muss immer erreichbar sein“
„Sogar bei Dorffesten oder anderen Veranstaltungen kommen dann sicherlich Menschen und fragen, ob ich nicht mal kurz helfen kann. Was ist mit meiner Privatsphäre?“
„In der Stadt habe ich viel mehr Lebensqualität. Sie bietet mehr Abwechslung und mehr kulturelle Angebote.“
„Solch eine Abgeschiedenheit als Landarzt kann ich mir vor allem als junger Mensch nicht vorstellen“
Nur um einige Argumente zu nennen, die junge Medizinstudenten anführen, wenn man sie nach dem „Traumjob Landarzt“ fragt.
Fokus Work-Life-Balance
Tatsächlich ergab eine Umfrage mit 500 Ärzten die für eine Landpraxis in Frage kämen, dass 58% eigene Niederlassung auf dem Land für unwahrscheinlich halten und 44% das Land besonders wegen der persönlichen Einschränkungen wenig attraktiv finden.
Vor allem fürchten die jungen Leute aber auch um ihre Work-Life-Balance. Das sagen jedenfalls 44%. Und nach allem, was Freunde und Bekannte von ihrem Medizinstudium erzählen, wissen wohl in der Tat besonders die angehenden Ärztinnen und Ärzte, was eine Work(Study)-Life-Balance ist beziehungsweise was eine „Study-Life-Imbalance“ ist. Notenstress schon in der Schule, um einen der begehrten Studienplätze zu ergattern, danach unzählige Klausuren, unbezahlte Praktika, vernichtender Lernstress vor den Staatsexamen. Dieses Leben mit viel Stress und vielen unbezahlten Untersuchungen für „Freunde aus dem Dorf“ wollen sich die angehenden Ärzte wohl nach dem Abschluss des Studiums nicht auch noch antun.
Ist es also vielleicht schon der Aufwand des Medizinstudiums, der den Studenten das Thema Work-Life-Balance so wichtig erscheinen lässt und vor einem Landarzt-Dasein abschreckt? Oder ist es wirklich mehr die Angst, abgeschieden auf dem Land zu versauern und das wahre Leben in der Stadt zu verpassen?
Der Anschein, dass angehende Ärzte heutzutage mehr denn je auf ihre Work-Life-Balance achten lässt sich jedenfalls auch durch Zahlen bestätigen: In Thüringen verdreifachte sich die Zahl der nicht selbstständigen Ärzte und Psychotherapeuten in den vergangenen fünf Jahren auf knapp 700, da es unter den jungen Medizinern den Trend gibt, lieber angestellt zu sein. Grund dafür seien geregeltere Arbeitszeiten, die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf und die Möglichkeit zur Teilzeitarbeit. Reden jetzt alle nur noch von „Work-Life-Balance“? Will denn keiner mehr arbeiten? Motiviert nur noch der monetäre Anreiz? Wo sind die Menschen geblieben, die Arzt aus Überzeugung werden, um anderen in ihrer kleinen, liebevoll eingerichteten Praxis zu helfen?
Wo sind die Nachfolger der heutigen Helden im Gesundheitsbereich, die uns mit den richtigen Medikamenten versorgen? Wir brauchen sie. Wir brauchen besonders junge, motivierte Ärzte, die (bald) leerstehende Praxen übernehmen. Denn der demografische Wandel trifft nun mal auch die Ärzte. Das Durchschnittsalter der Hausärzte beträgt 54 Jahre, das der Fachärzte 52 Jahre. Und schon jetzt zeigt sich, dass nur 70% der Hausarztpraxen nachbesetzt werden können. Bestätigt sich der Trend, dass junge Mediziner lieber angestellt werden, wird sich dieser Prozentsatz noch verringern.
Dadurch würde das Thema Ärztemangel noch verschlimmert. Denn fest steht jetzt schon, und damit auch wieder zurück zum Thema „(Alb-)Traumberuf Landarzt“: im Jahr 2020 werden mehr als 7000 Allgemeinmediziner fehlen. Besonders auf dem Land und speziell im Osten. Den Menschen in diesen Regionen droht die medizinische Unterversorgung.
Für die betroffenen Patienten bedeutet dies, dass sie auf dem Weg zum nächsten Landarzt, oder in die Stadt lange im Auto sitzen müssen und noch länger im Wartezimmer. Und all das, um letztendlich eine schnelle Diagnose von einem gestressten Mediziner zu erhalten (ein deutscher Arzt verbringt im Durchschnitt ganze 7:48 Minuten mit einem Patienten!!), der wenigstens das Stadtleben nach seinem Feierabend genießen kann.
Noch kritischer wird die Situation, wenn man betrachtet dass nicht nur die aktuelle Situation schon erschreckend ist, sondern sich das Problem höchstwahrscheinlich auch in Zukunft mit den jetzigen Ideen nicht beheben lassen wird.
Dr. Harald Terpe von den Grünen sagte zum Beispiel, dass „für ländliche Regionen das Herz schlagen muss, die Vorteile muss man selbst erkennen.“ Er warnte vor Illusionen über die Möglichkeiten der Kommunen: „Es ist nicht realistisch, dass man wegen Ihnen einen Kindergarten baut.“.
Was also kann getan werden?
Eine gute Idee kommt aus Büsum, das an der Westküste Schleswig Holsteins liegt. Dort haben Werbemittel für kommende Landärzte aus der Gemeinde wie kostenlose Brötchen, Friseurbesuche und Mittagessen beim Metzger nichts geholfen. Deshalb hat Bürgermeister Maik Schwartau jetzt zu neuen Mitteln gegriffen und lässt Landärzte, die in Zukunft nach Büsum kommen und sich um die Gesundheit der Bewohner sorgen, durch die Gemeindekasse bezahlen. Dadurch soll gewährleistet werden, dass der kommende Arzt nicht mehr wie bisher auf Rechnung arbeitet. Sie werden stattdessen von der Gemeinde unter Vertrag genommen, als Angestellte. Ohne finanzielles Risiko, mit geregelten Arbeitszeiten und der Möglichkeit, im Team zu arbeiten. Oder in Teilzeit.
Auch wenn diese Maßnahme natürlich ein finanzielles Risiko darstellt, scheint es endlich den Nerv der jungen Mediziner getroffen zu haben. Denn das Argument, dass für den kommenden Landarzt in Büsum 24 Stunden Verfügbarkeitsplicht und gleichzeitig zu wenig Geld zum Leben droht, zieht nun nicht mehr.
Und siehe da, die erste Bewerbung ließ nicht lange auf sich warten! Eine junge Ärztin will in die Gemeinde-Praxis einziehen, obwohl die frühestens 2015 fertig ist.
Online-Landarzt
Eine andere Möglichkeit, die auch besser und schneller weitreichend umgesetzt werden kann als einzelne Projekte von Gemeinden, ist, den Sektor der Gesundheitsberatung endlich mehr in den Onlinebereich zu verlagern.
Leider eilt der Online-Gesundheitsberatung und Online-Hilfe durch Ärzte aufgrund einiger unseriösen Angebote im Netz, die ausschließlich auf Profit aus sind, ein schlechter Ruf voraus. Außerdem schränken die jetzigen Reglementierungen die Möglichkeit der Verlagerung in den Onlinebereich noch sehr stark ein.
Dabei könnte ein professionelles, auf Ärzte zugeschnittenes Online-Angebot einige Arztbesuche sehr wohl gut ergänzen, wenn nicht sogar teilweise ersetzen. Das Ziel sollte es zwar nicht sein, Diagnosen online zu stellen, bevor ein Arzt den Patienten gesehen hat. Aber denken Sie einmal daran, wie oft Sie als Patient zum Arzt und wieder nach Hause gehen, ohne dass Sie der Arzt überhaupt berührt und eine wirkliche Untersuchung vollzogen hat. All diese Arztbesuche könnten auch online abgehandelt werden. Dadurch würde der Bedarf an Landärzten zurückgehen und die bestehenden Landarztpraxen könnten gut entlastet werden.
Was denken Sie über den Ärztemangel? Was halten Sie von dem Vorschlag der verstärkten Verlagerung in der Onlinebereich?
Update: Neue Vorschläge von Regierungsberatern zur Unterstützung für den Landarzt
Da die bislang getroffenen Maßnahmen nicht dazu beigetragen haben, das Problem des Landarztmangels zu lösen, kommen nun neue Vorschläge aus der Politik. Laut eines aktuellen Artikels der FAZ schlagen Regierungsberater dem Gesundheitsminister der CDU vor, Hausärzten in unterversorgten Gebieten einen Honorarzuschlag von 50 Prozent zu geben. Dies wären mehr als 100.000€ pro Jahr.
Finanziert werden soll dieses zusätzliche Honorar aus dem Honorartopf der Ärzte, die nicht in einer Gegend mit Ärztemangel praktizieren oder wo sogar eine Überversorgung an Medizinern vorhanden ist.
Des Weiteren soll die Vereinigung der Kassenärzte gezwungen werden, in Ballungsräumen, wo die Überversorgung besonders hoch ausfällt, frei werdende Praxen aufzukaufen und zu schließen, beispielsweise wenn ein Mediziner die Praxis aufgibt, da er in den Ruhestand geht.
Den ganzen Artikel über den Vorschlag, 100.000 Euro extra für den Landarzt zu zahlen, aus der FAZ Ausgabe vom 24.06.2014 finden Sie hier.
Teilen Sie uns Ihre Meinungen und Ideen in den Kommentaren mit.
Was sagen Sie zum Landarzt Problem? Was denken Sie über den neuesten FAZ Artikel und die Idee des Honorarzuschlags? Könnte ein Online-Arzt das Problem lösen, dass Menschen in ländlichen Gegenden einen schlechteren Zugang zu Medizinern haben?
Wir bleiben auf jeden Fall an den Themen Online-Gesundheitsberatung und Online-(Land-)Arzt dran und werden hier in den kommenden Wochen weitere Ideen und Studien zu dem Thema präsentieren.
Dass das Thema E-Health immer mehr aufkommt und besonders von Patienten-/Konsumentenseite vorangetrieben wird, können Sie bereits in unserem Whitepaper zum Thema „Der zweite Gesundheitsmarkt boomt“ nachlesen.